Die Kunst der Atmung - Pranayama
- Vicky Lardschneider
- 31. Jan. 2022
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Feb. 2023
Pranayama (Sanskrit: प्राणायाम prāṇāyāma m.) In meiner heutigen Instagram Story habe ich ein Video von mir gezeigt, in dem ich Uddiyana Bandha praktiziere. Über 70 Prozent kannten den Begriff nicht und deshalb habe ich beschlossen mich in den nächsten Blogposts mit dem Thema Atmung und Pranayama zu beschäftigen. Doch bevor ich tiefer in die Praxis des Uddiyana Bandha eingehe, ist es wichtig die Grundübungen des Pranayama zu verstehen und zu verinnerlichen.
Immer wieder bin ich ganz verblüfft, wie viel Power die eigene Atmung doch hat. Eigentlich sollte mich das gar nicht wundern, aber trotzdem passiert es hin und wieder, dass ich das vergesse. Die Atmung ist mein Tool, um mich zurück in meinen Körper zu holen, schwierige Situationen gut durchzustehen und Schmerzen zu lindern.
In Jedem von uns gibt es immer wieder Momente im Leben, in denen wir über unsere eigenen Grenzen treten oder andere innerhalb unserer Grenzen wüten lassen. Jeder Körper hat seine eigene Schutzfunktion, damit umzugehen. Die einen reagieren emotional oder mental, die anderen körperlich. Auch, wenn wir oft anfangen, dann sauer auf unseren Körper, also uns selbst zu sein, ist diese Reaktion ein Mechanismus des Körpers dich zu schützen. Denn unser System ist einfach unfassbar schlau.
Ich persönlich reagiere immer körperlich. Wenn mir etwas zu viel ist, mich stresst oder extrem belastet ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass mein Körper mir Zeichen gibt und „Stopp“ sagt. In extremeren Fällen, greift er in die Tiefen seiner Trickkiste und so ist das Stoppzeichen kein Schnupfen mehr, sondern schwere Verletzungen. Auch wenn ich auf dieses Thema in diesem Artikel nicht weiter eingehen möchte, ist dies doch entscheidend für meinen Weg zu bewusster Atmung und damit verschiedenen Atemtechniken. Denn diese Situationen haben mich gelehrt, wie wertvoll die bewusste Atmung ist.
Starke Schmerzen oder Momente des „sich nicht Spürens“, wie z.B. bei Migräne oder Ohnmachtsanfällen, sind schon immer leichter durchzustehen gewesen, wenn ich meinen Fokus auf meinen Atem richte. Die Atmung länger und tiefer werden lasse und bewusst zu diesen Stellen hinatme. Das bedarf natürlich Übung und auch ich habe in solchen Situation reichlich wenig Lust noch Atemübungen zu machen – aber tief in mir, weiß ich aus Erfahrung, dass es schon immer geholfen hat.
Auch die Yogis haben sehr früh erkannt, wie entscheidend die Bewusste Atmung ist. Ein kurzer Ausflug für den Überblick:
Yoga in der modernen Welt ist die Praxis von Asanas, also bestimmten Körperhaltungen auf der Matte. Aber Yoga steht eigentlich für „unity=Einheit“ und baut auf einem 8-gliedrigen Pfad auf.
Ein Glied dieser Acht sind tatsächlich die Asanas. Ein weiteres Glied, das 4. Glied, ist Pranayama. In diese Praxis möchte ich heute etwas eintauchen, soweit es der Rahmen hier zulässt, denn die Praxis des Pranayama ist weitaus umfangreicher, als es mir hier möglich ist zu erklären.
Das Wort setzt sich zusammen aus Prana („Atem, Atmung, Leben, Vitalität, Wind, Energie, Kraft“) und Ayama („Ausdehnung, Länge“), ist also die Ausdehnung des Atems und seine Beherrschung und bezeichnet die Zusammenführung von Körper und Geist.
Diese Atmung betrifft also alle Funktionen des Atems:
1. Einatmen (Sanskrit: Puraka): sich ausfüllen
2. Ausatmen (Sanskrit: Rechaka): Entleeren der Lungen
3. Anhalten (Sanskrit: Kumbhaka): ein Zustand in dem es weder Puraka noch Rechaka gibt.
Das Wissen von Atem und die Praxis sollte sehr langsam und stufenweise geübt werden und ist nicht zu unterschätzen.
B.K.S. Iyengar hat in seinem Buch „Licht auf Yoga“ sehr gut beschrieben:
„Pressbohrer können den härtesten Stein durchbohren. Im Pranayama benutzt der Yogi seine Lungen als ein solches Werkzeug. Wird es nicht angemessen verwendet, werden sowohl Bohrer, wie auch der Mensch, der ihn benutzt, verletzt. Das Gleiche gilt für Pranayama.“
Die Yogis zählten ihr Leben nicht in Lebenstagen sondern nach der Anzahl der Atemzüge. Die Kunst ist es einen stetigen Rhythmus in der Atmung zu finden mit reinen, langen und tiefen Atemzügen. B.K.S. Iyengar sagt, dass dies beherrscht werden muss, ehe Kumbhaka, also das Anhalten des Atems geübt werden kann.
Ja ich weiß, das klingt so einfach. Aber hör mal tief in dich hinein, ohne zu urteilen: Wie regelmäßig sind deine Atemzüge? Ist deine Einatmung genauso lang wie deine Ausatmung? Hältst du manchmal den Atem ganz an? Mir passiert des immer wieder, wenn ich mich stark konzentriere, dass ich kaum noch richtig atme. Gerade in Stresssituation neigen wir dazu mehr einzuatmen, als auszuatmen, flacher zu atmen und die dreidimensionale Atmung bis in den Rücken und die seitlichen Flanken zu vergessen.
Ja du hast richtig gelesen, die gesunde Atmung geht nicht nur nach vorne, sondern auch in unseren Rücken und in die Flanken des Brustkorbs.
Die richtige Atmung beruhigt den Geist und das Nervensystem und stärkt somit die Mitte des Körpers. Die Energie im Körper kommt in Fluss und erreicht jede Stelle des Körpers um jede Zelle mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Gerade, wenn du anfängst in die Praxis der Meditation einzutauchen hilft es, den Atem zu zählen und den Geist mit bewusster und ruhiger werdender Atmung zu besänftigen.
Die bewusste Atmung kannst du überall, zu jeder Tageszeit und in jeder Lebenssituation durchführen. Um dich zu unterstützen, kannst du eine Hand auf deinen Bauchbereich und auf den Brustbereich legen und bewusst spüren, wie sich beim Einatmen erst der Brustbereich und dann der obere Bauchbereich anheben und danach wieder absenken. Spüre in die Rückseite deiner Lungen und die seitlichen Flanken. Gerade in Stresssituationen oder bei Schmerzen hilft dies alleine schon, um ruhiger zu werden und die Schmerzen mehr zu bündeln. Außerdem hilft dir die dreidimensionale Atmung dabei deinen Rumpf und Core zu aktivieren und kräftig in deiner Mitte zu werden.
Für die Praxis von Pranayama gibt es verschiedene Atemtechniken, doch für jede gilt, dass man den „Tempel nicht mit schmutzigem Körper oder mit schlechten Gedanken betritt.“ Tempel wird hierbei als Synonym für deinen Körper verwendet. Und die Reinheit davon, bedeutet, dass vor jeder Pranayama Praxis Blase und Darm entleert werden sollen, da dies die Ausführung der Bandhas bequemer macht. Bandhas sind eine Beschränkung. Sie regulieren den Strom des Pranas/Lebensernergie, vom unteren Bauchbereich bis hoch zum Kopf.
Um die eigene Pranayama-Praxis zu vereinfachen eignet es sich an einem ruhigen Ort zu üben, da Lärm innere Unruhe schafft. Gemäßigte Temperaturen sind außerdem unterstützender in der Praxis als Hitze oder Kälte.
Los geht’s:
Finde einen bequemen Sitz für deine Pranayama-Praxis. Z.B. mithilfe einer Decke für deine Sitzbeinhöcker. Finde einen Sitz, in dem deine Wirbelsäule aufrecht und senkrecht zum Boden bleiben kann.
Entspanne deine Gesichtsmuskeln, deine Augenlieder, deine Zunge und dein Kiefer.
Die Anfänge der ersten Pranayama Übungen beinhalten das Finden eines regelmäßigen Rhythmus. Atme durch die Nase ein und den Mund wieder aus. Finde eine Länge des Ein- und Ausatmens, die für dich angenehm ist und keinen Stress in dir und deinen Lungen oder dem Zwerchfell auslöst. Wenn dir dabei Heiß oder Kalt wird, ist dies anfangs normal, vergeht aber mit der Zeit.
Die Einatmung sollte die gleiche Länge haben, wie deine Ausatmung. Halte die Luft nicht an.
Wenn du das Gefühl hast, diese Praxis gut und sicher zu beherrschen gibt es die Möglichkeit Kumbhaka (Also das Anhalten des Atems) mit einzubauen.
Versuche beim Anhalten des Atems, die Luft nicht einzuziehen und das Zwerchfell, sowie die Bauchorgane locker zu lassen und nicht anzuspannen.
Anfangs ist es möglicherweise einfacher nicht nach jeder Ausatmung den Atem anzuhalten, sondern ca. 3 mal normal zu atmen, und dann ein Zyklus mit Kumbhaka zu probieren.
Wenn du merkst, dass nun der Rhythmus deiner zuvor trainierten Atmung nicht mehr regelmäßig ist, versuche die Dauer des Anhaltens zu verringern, sodass Ein- und Ausatmung wieder gleichmäßig werden.
Mit regelmäßiger Praxis des Pranayama ziehen sich deine Sinne nach innen und es fällt dir leichter auf deine innere Stimme zu hören. Pranayama verhilft dir einen Frieden in dir zu finden.
Man kann sagen, dass diese Art der Pranayama Praxis zugleich der Beginn deiner Meditationspraxis ist – falls du zuvor noch nicht meditiert hast.
Gesundheitlich werden deine Zellen bei regelmäßiger Pranayama Praxis ausreichend mit Sauerstoff versorgt und werden hierbei in ihrer Arbeit von dir und deinem Atem unterstützt. Du reinigst deinen Körper von Innen.
Vielleicht möchtest du heute Abend wenn du im Bett liegst mal deinen Fokus auf deine Atmung richten, während du auf dem Rücken liegst.
Regelmäßige Atmung und damit die Beruhigung des Nervensystems hilft nämlich auch dabei, besser einzuschlafen und das Gedankenchaos ausschalten zu können. Keine Sorge. Uddiyana Bandha werde ich in den nächsten Blogposts erklären. Ein Schritt nach dem Anderen.
Hab einen wundervollen Sonntag Abend.
Vicky